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Herbst 2010 /Nr.
36
doch
mal
was
Thema
Arbeit
Magazin der Bundeszentrale für politische Bildung
Tu
luter Nr. 36 – Thema Arbeit
3
Editorial
sensgetriebenheit der Wirtschat zu tun. Zum anderen werden
in den Dienstleistungssektoren sogenannte weiche Faktoren imÂ
mer wichtiger: Soziale und emotionale Kompetenzen laufen den
zweckrationalen den Rang ab. Wer weniger Wissen und FachÂ
kenntnisse aktivieren und immer wieder neu entwickeln kann,
hat es ungleich schwerer, Arbeit zu inden und zu behalten. Das
Bildungswesen in Deutschland ist hier noch nicht auf der Höhe
der Zeit. Dass fast ein Viertel der Jungen eines Jahrgangs schon
zu Beginn ihres Arbeitslebens fast chancenlos sind, ist nur das
dramatischste Anzeichen dafür.
Die Ränder des Arbeitsmarktes werden prekär, und wer lanÂ
ge ohne Arbeit bleibt, fällt immer noch schnell und dauerhat
aus der sozialen Bahn. Dagegen gibt es Ideen wie bedingungsÂ
loses Grundeinkommen oder Bürgerarbeit, um die Brüche zu
überwinden.
Zur Disparität gehören auch Gewinner: Die Eintrittshürden
in eine erfolgreiche unternehmerische Existenzform sind heute
viel geringer, schon Schüler können mithilfe des Internets aus
ihren Ideen ein erfolgreiches Unternehmen machen.
Deutschland ist im Westen nach dem Zweiten Weltkrieg mit
der sozialen Marktwirtschat sehr gut gefahren. Das Modell des
sogenannten rheinischen Kapitalismus mit geregeltem InteresÂ
sensausgleich zwischen Kapital und Arbeit hat Erfolgsgeschichte
geschrieben. Wie sich das fortschreiben lässt, ist eine gute
Frage. Sie zu beantworten, wird eine Menge Arbeit kosten, sie
aber auch wert sein.
Thorsten Schilling
Die gesellschatlichen Imaginationen zum hema „Arbeit“ sind
immer noch dominiert von den Rollenmodellen und ErfahrunÂ
gen der großen Industrie: ixes, geordnetes Anwendungswissen,
„männliche“ Disziplin, Einordnung in den zugewiesenen Platz
innerhalb der Kette der Arbeitsteilung, steter Aufstieg durch AkÂ
kumulation von Erfahrung, dazu die Faszination der großen
Zahl, der einheitlichen Standards, der Massenware.
All das gibt es nach wie vor. Aber es liegt auch schon weit
hinter uns, selbst in der Industrie tut sich hier sehr viel. Kehrt
man den Blick davon ab, kommen beim hema Arbeit noch
ganz andere Perspektiven hinzu: die Entwicklung zur DienstleisÂ
tungsgesellschat, die fortschreitende globale Arbeitsteilung und
gerade in Europa der demographische Wandel.
Die Welt der Arbeit ist heute von einer ungeheuren Vielfalt,
ja Disparität gekennzeichnet. Für die Einzelnen ist Orientierung
und Selbstindung hier eine Aufgabe für sich. Was wird und soll
als Arbeit anerkannt sein und was nicht? Was kann sie zur SelbstÂ
verwirklichung beitragen, welchen Stellenwert soll sie im Leben
haben? Kann eine Gesellschat, die sich über die NotwendigkeiÂ
ten der Arbeit deiniert, überhaupt frei sein? Wenn alles im Fluss
ist, werden solche metaphysischen Fragen alltagstauglich.
Klar ist, im Kosmos der Arbeit ist Bildung zur SchicksalsÂ
frage geworden. Das hat zum einen mit der zunehmenden WisÂ
THEMA
Arbeit
Mach mal Pause: Ein Fischer ruht sich aus
4
luter Nr. 36 – Thema Arbeit
Inhalt
Bitte nicht so brav!
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5
Ein Interview über den Einstieg ins Berufsleben
Mensch, Maschine!
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10
Zahlen zum hema
Immer dasselbe Lied
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11
Das wär’s doch: einen Hit komponieren
und dann nie wieder arbeiten
24
Das echte Leben
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12
Was in einem freiwilligen sozialen Jahr passiert
Großes Geschät
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32
Das Internet macht sogar Schüler zu Firmenchefs
Irgendwas mit Medien
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14
Wir haben einen jungen Paparazzo
bei der Arbeit begleitet
„Ich weiß gar nicht, wie ich das geschaft habe“
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36
Gespräch mit einer Rentnerin
„Ich sehe das als Weiterbildung“
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18
Gespräch mit einem, der nichts tut
Das ist Hartz
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37
Wie es sich als Familie ohne Arbeit lebt
Vom Mutfassen
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39
Eine Betreuerin von Arbeitslosen erzählt
So ein Schuten
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40
Ausbeutung gibt es leider überall
„Lasst uns doch in Ruhe arbeiten!“
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41
In Bolivien kämpfen Kinder dafür, arbeiten zu dürfen
14
Jetzt ist mal Schicht
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44
Arbeitskampf ist keine Sache von gestern
Weitermachen
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19
Nicht ganz einfach, wenn die Arbeiter
ihre Fabrik übernehmen
Wir müssen was tun
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47
Unser Autor hat eine Art Gewerkschat gegründet
„Ich bekomme quasi Schmerzensgeld“
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48
Gespräch mit einem, der nicht aufhören kann
Ganz schön kaputt
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23
Von einem, der heimlich Sachen reparierte
Arbeit, die es nicht ins Het geschaft hat
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49
Aus dir wird nichts
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23
Erfolgreiche Menschen mit Startschwierigkeiten
Hoi Polloi, Vorschau und Impressum
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50
Schwarzer Tag
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24
Unterwegs mit rumänischen Autoscheibenputzerinnen
28
Was gibt’s
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26
Das luter Schaubild zeigt, wer was verdient
Für Geld machen Menschen alles
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28
Interview mit dem Philosophen Robert Menasse
Richtige Stelle
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31
Warum Langzeitarbeitslose für ehrenamtliche
Tätigkeiten bezahlt werden sollten
luter Nr. 36 – Thema Arbeit
5
nicht so
Geht es nur ums Geld, oder bedeutet Arbeit nicht noch viel
mehr in unserer Gesellschat?
Es geht um vieles. Wenn man sich mit nichterwerbstätigen Frau-
en unterhält, dann sagen die: Wenn ich Arbeit hätte, hätte ich
eigenes Geld. Sie wären sogar damit zufrieden, weniger Geld zu
haben, nur eigenes muss es sein. Es geht bei der Erwerbstätigkeit
aber auch um die soziale Vernetztheit – darum, Freunde zu ha-
ben, anderes kennen zu lernen, etwas zu tun, das einen gesell-
schatlichen Wert hat. Kurzum, es geht um Teilhabe an der Ge-
sellschat. Wenn man sieht, wie sehr auch unsere Freizeit von
dem geprägt ist, was wir im Arbeitsalltag erfahren, dann ahnt
man, was Männern oder Frauen, die lange nicht auf dem Ar-
beitsmarkt sind, verloren geht.
brav!
Wie erklärt man einer 15-Jährigen heutzutage, dass Frauen we-
niger verdienen als Männer im selben Job für dieselbe Tätig-
keit?
Man erklärt ihr, dass es dabei auch um die mangelnde Verein-
barkeit von Familie und Arbeit geht. Frauen unterbrechen ihre
Erwerbsarbeit, dann arbeiten sie Teilzeit. Beides ist für die Ent-
wicklung ihres Stundenlohns nicht vorteilhat, um es mal vor-
sichtig auszudrücken. Der Staat ist in der Plicht, mehr gute Be-
treuungsmöglichkeiten für Kleinkinder bereit zu stellen. Die
Arbeitgeber müssen mehr für die Vereinbarkeit tun.
Abitur nach der zwölften Klasse und
dann ganz schnell noch ein
BachelorÂStudium. Was klingt wie der
schnellste Weg in ein erfolgreiches
Arbeitsleben, produziert in Wahrheit
Massen unzufriedener Menschen,
die nie Zeit hatten, darüber nachÂ
zudenken, was sie eigentlich
wirklich wollen. Sagt die Soziologin
Jutta Allmendinger
Momentan erleben wir einen wirtschatlichen Aufschwung,
und dennoch gibt es so viele arbeitslose junge Menschen wie
selten zuvor – darunter sogar Hochschulabsolventen. Ist eine
gute Ausbildung keine Garantie mehr für einen Arbeitsplatz?
Das sind hesen, die Journalisten produzieren, weil sie lieber
Negativ- als Positivszenarien präsentieren. Wir haben im Mo-
ment 5,6 Millionen nichterwerbstätige Frauen, aber nur knapp
eine Million arbeitslos gemeldete Frauen. Wenn man sich jetzt
diese Nichterwerbstätigen anschaut und nach deren berulicher
Qualiikation fragt, also nach Ausbildung oder Bildungsab-
schluss, dann zeigt sich, dass vor allem jene nicht erwerbstätig
sind, die keine oder eine ganz schlechte Ausbildung haben. Eine
gute Ausbildung erhöht die Chancen auf Arbeit weiterhin unge-
mein, sogar noch stärker als früher. Beim Vergleich der Jobaus-
sichten von Niedriggebildeten, Mittelgebildeten und Hochgebil-
deten sieht man, dass die Schere noch weiter aufgegangen ist.
Diejenigen mit schlechter Bildung haben heute überhaupt keine
Chance mehr. Der Abstand zu den Hochgebildeten ist viel grö-
ßer geworden.
Interview: Oliver Gehrs und Robert Reick
Foto: Anne Schönharting/Ostkreuz
Jutta Allmendinger hat das, was immer noch viel
zu vielen Frauen verwehrt bleibt: Eine FührungsposiÂ
tion. Sie war Professorin für Soziologie an der LudwigÂ
MaximiliansÂUniversität München, später Direktorin des
Instituts für Arbeitsmarkt und Berufsforschung. Seit
2006 ist sie Präsidentin des Wissenschaftszentrums Berlin für SozialÂ
forschung, eine international renommierte Forschungseinrichtung auf
dem Gebiet der Sozialwissenschaften. Allmendinger forscht unter anÂ
derem über die Ungleichheit der Geschlechter am Arbeitsmarkt.
luter: Viele Frauen werden für dieselbe Arbeit schlechter be-
zahlt als Männer. Würden Sie als Mann eigentlich mehr verdie-
nen in Ihrem Job?
Jutta Allmendinger: Das weiß ich gar nicht. Ich habe vor meinen
Gehaltsverhandlungen mit Männern in ähnlichen Positionen
gesprochen, um zu erfahren, was angemessen ist. Aber das war
schwierig und unergiebig. Das hema Geld ist ein Tabu. In den
meisten Untersuchungen reden Männer sogar lieber über ihr Se-
xualleben als über ihr Gehalt.
Andererseits haben selbst Jugendliche, die brav nach zwölf Jah-
ren Abitur und dann ganz schnell ihren Bachelor gemacht ha-
ben, Probleme, Arbeit zu inden.
Nur kurzfristig. Die Suche dauert vielleicht länger. Aber wir dür-
fen doch nicht so zynisch sein, diese Gruppe mit Menschen
ohne Ausbildung gleichzusetzen. Von daher sollten Abiturien-
ten und Studierende auch nicht zu brav sein. Die kolossale Ver-
kürzung der Ausbildungszeit ist auf dem heutigen Arbeitsmarkt
nicht zwingend und ot nicht nützlich. Mit 14 Jahren Proilkurse
wählen, die dann zu Leistungskursen werden, Abi mit 17 und
dann das studieren, was man schon im Abi hatte… Das heißt
doch: Ich entscheide mit 14 über meinen weiteren Lebensweg.
Das ist absurd. Da müssen Jugendliche, die kaum wissen, was
Ãœber Geld spricht man nicht.
Genau.
Bitte
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luter Nr. 36 – Thema Arbeit
auf sie zukommt, weitreichende Lebensentscheidungen trefen.
Das inde ich unverantwortlich.
rigider, was die Deutschkurse anbelangt. Wir wissen nun mal,
dass Integration nur über Deutschkenntnisse stattindet.
Nach der Pisa-Studie war die Verkürzung des Abiturs doch ein
Hauptpunkt der Bildungsreform.
Ãœberall werden Globalisierung, Internationalisierung und Flexi-
bilität gepredigt. Aber wir domestizieren unseren Nachwuchs.
Schüler, die sich ein Jahr von der Schule abmelden, um ins Aus-
land zu gehen, verlieren ein Jahr, weil sie die elte Klasse wieder-
holen müssen. Sie werden zu Sitzenbleibern. Da braucht es
schon Rückgrat, um zu sagen: Ich wiederhole einfach eine Klas-
se. Der Verzicht auf Auslandserfahrung ist aber das Gegenteil
dessen, was wir brauchen. Man muss doch auch Zeit haben, her-
umzuschnuppern und in Kontakt zu kommen mit ganz unter-
schiedlichen Nationalitäten, Kulturen und Berufsfeldern. Ich
wüsste nicht, wie Kinder sich sonst klar darüber werden kön-
nen, welche Talente sie eigentlich haben. Denn der strikt durch-
gestylte Schulunterricht macht die Beschätigung mit ganz ande-
ren Gebieten – egal, ob etwa Kunst, Musik, Sport oder
gesellschatliches Engagement – kaum möglich. Aus biograi-
scher Sicht ist das eine Zumutung, weil junge Menschen keine
Zeit haben, sich auszuprobieren und ihre Interessen zu entde-
cken. Hinzu kommt nach wie vor die frühe Selektion im Bil-
dungssystem hierzulande.
Das müsste dann jedes Bundesland einzeln verfügen.
Der Föderalismus ist beim hema Bildung sehr problematisch,
das Kooperationsverbot muss vom Tisch. Unsere Kleinstaaterei
behindert Mobilität und damit auch den Einstieg in den Arbeits-
markt. Wenn Sie in Berlin in die sechste Klasse gehen, können
Sie nicht einfach nach Bayern wechseln – da sind die Schüler
nämlich zu diesem Zeitpunkt bereits viel weiter.
Also brauchen wir eine Bundesbildungspolitik.
Unbedingt. Diese muss auch die lächendeckende Einführung
von Ganztagsschulen umfassen, mit einem breiteren Curricu-
lum, kleinen Klassen, individueller Hilfe durch ein Schulkollegi-
um, das nicht nur aus Pädagogen besteht. Wir müssen auch über
die Bildung hinaus denken und die Berufsausbildung reformie-
ren. Auch hier brauchen wir ein möglichst breites Curriculum,
das einem dann erlaubt, wieder aufzusetzen und neue Dinge zu
tun. Ein einjähriges studium generale etwa.
Das Ziel des Bologna-Prozesses war unter anderem eine ver-
stärkte Internationalisierung. Ist wenigstens die eingetreten?
Leider nicht, weil nicht nur bei den Gymnasiasten der Anteil je-
ner gesunken ist, die ins Ausland gehen, sondern auch bei den
Studenten. Es ist dramatisch: Diese Reform sollte einen europäi-
schen Bildungsraum erschließen, und nun sitzen alle hier an
deutschen Schulen und an deutschen Unis und haben keine Zeit
mehr für die Ferne. Das ist ein extremer Verlust nicht nur an
Bildung, sondern auch an Kompetenzen für das Erwerbsleben.
Dabei ist es ein Mythos, dass Arbeitgeber sagen: Wenn du 22
bist, stelle ich dich ein, aber wenn du 24 bist, nicht mehr. Ich
kenne keine Arbeitgeber, die das so machen. Ich kenne nur Jour-
nalisten, die das so schreiben.
Die Mehrheit der Bürger will anscheinend diese zügige Selekti-
on. In Hamburg wollte man die Grundschule gerade von vier
auf sechs Jahre erweitern, damit die Kinder länger zusammen
lernen. Die Mehrheit hat sich dagegen entschieden.
Aber schauen Sie doch mal, wer da abgestimmt hat: Auf jeden
Fall nicht diejenigen, die von so einer Reform am meisten proi-
tiert hätten – also zum Beispiel Menschen mit Migrationshinter-
grund. Die durten gar nicht mit abstimmen. Gegen die Reform
haben vor allem Bürger gestimmt, die aus den besseren Ham-
burger Bezirken kommen und deren Kinder sowieso alle Chan-
cen der Welt haben. Insofern taugt Hamburg nicht als Beispiel
für eine allgemeine Aussage, sondern allenfalls für die Feststel-
lung, dass Menschen aus oberen Schichten glauben, es schade
ihren Kindern, wenn sie mit Kindern aus sozial schwächeren Mi-
lieus zusammen erzogen werden.
Könnte das bedeuten, dass viele Studierende das Falsche studie-
ren – also nicht das, was ihren eigentlichen Interessen und Ta-
lenten entspricht?
Langfristig kann das passieren. Im Moment haben wir eine Aus-
bildung, die sehr stark auf eine vergleichsweise kurze Erwerbstä-
tigkeit zugeschnitten ist – und dann ist dieser menschliche Leis-
tungsträger ot ausgeblutet und merkt, dass er in einem völlig
falschen Arbeitsleben steckt.
Und stimmt das nicht?
Es gibt meines Wissens keine einzige empirische Untersuchung,
die besagt, dass besseren Schülern das gemeinsame Lernen mit
schlechteren schadet. Die Politik darf daher über so etwas kei-
nen Volksentscheid abhalten, weil bekannt ist, dass eine gewisse
Klasse dafür sorgt, unter sich zu bleiben. Ich inde, es ist Aufgabe
einer Demokratie, allen vergleichbare Lebenschancen zu geben
– das steht im Übrigen auch in unserem Grundgesetz.
Befürchten Sie, dass durch die Reformen im Bildungs- und
Schulungsprozess vielleicht in zehn, zwölf Jahren ganz viele
Leute depressiv sind und entdecken, dass sie im völlig falschen
Job gelandet sind?
Es gibt auf jeden Fall viele Leute, die Fächer nur deshalb studie-
ren, weil diese angeblich gerade gefragt sind oder weil es für die-
se Fächer Studienplätze gibt – und die anschließend Jobs ma-
chen, die sie nicht sonderlich interessieren. Die dürten dann in
jungen Jahren ihren ersten Burn-out haben.
Werden Bildungs- und Arbeitsplatzchancen quasi von Genera-
tion zu Generation vererbt?
In unserem System ist das noch so.
Sie beraten Politik ja regelmäßig. Was raten Sie denn, um die
Probleme zu beseitigen?
Ich würde hierzulande vieles verplichtender machen – etwa den
Besuch von Kindergarten oder Kindertagesstätte. Ich wäre auch
Sie selbst haben in den USA studiert. Was ist dort anders?
Da ist das Leben anders getaktet, mit Phasen zwischen einzel-
nen Abschnitten, in denen man schlicht andere Dinge macht
und andere Interessen verfolgt, Dinge für sich ausprobiert, Fami-
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